Halleluja, es gibt Momente, da möchte man in den Boden versinken. Nachdem man der schuldigen Person eine Bratpfanne über den Schädel gezogen hat. Der gute, junge Andrey hat eine Beziehung zu einer Frau, Julia. Sie war auf der Uni seine Deutschlehrerin. Alles halb so wild. Er ist 27 und sie 32. Ich weiss nicht, wie die das hier machen. Andrey ist 27 und lehrt mittlerweile selbst auf der Uni, ist also Kollege seiner Freundin. Und viel besser in Deutsch. Die beiden haben, sagen wir mal eine etwas schwierige Beziehung. Ich kann nicht sehr viel über sie aus erster Hand sagen, habe ich sie doch erst ein paar Mal gesehen. Was ich jedoch seit Sommer mitbekomme ist, dass Andrey ständig klagt, sie sei Besitzergreifend, cholerisch, hysterisch, habe Putzmanien (was man vielleicht ob Andreys eigener Wohnung eher relativ sehen sollte) und so weiter. Sie brauche ständige Aufmerksamkeit und mache ihm jedes Mal, wenn er mit mir oder Martin unterwegs ist, Vorwürfe, er würde sie alleine lassen.
Als ich kam, war er grad dabei, seine Sachen aus ihrer Wohnung zu holen und wieder zu Hause zu schlafen. Um ein Exempel zu statuieren (so würde Andrey es ausdrücken) verbrachte er die Tage nicht mit ihr. Sondern mit seinem besten Freund Vovan und mir! Daraufhin sei sie zu Kreuze gekrochen und sie haben sich wieder vertragen, er hat seine Sachen wieder zu ihr transportiert (er hat sichtlich Routine darin). Die Situation plagt Andrey sichtlich, weil er fast jeden Tag davon spricht und mir (eher sich) einredet, er sei ihrer müde. Es gibt nahezu täglich Streit und Versöhnung. Nach anderthalb Jahren Beziehung. Soweit die Vorgeschichte.
Andrey hat mich einer Freundin aus Kindertagen vorgestellt. Oksana ist Mitglied eines Volkstanzkollektivs, sie ist leidenschaftliche Tänzerin und vertritt noch leidenschaftlicher die Ansicht, die Kultur der früheren Generation den Menschen im Hier und Jetzt beizubringen. Sie leitet nebenbei Kindertanzgruppen. Ich kannte sie schon vom Radio PMR Buch her. Das Gespräch mit Andrey als Simultanübersetzer war ausgezeichnet, sie hatte viel interessantes zu erzählen. Soweit zur Vorgeschichte.
Wie gesagt, Oksana ist eine Jugendfreundin von Andrey, sie haben einen spielerisch intimen Zugang zueinander (vor allem sie zu ihm). Gelegentlich kam mir der Gedanke, dass wenn sie Bruder und Schwester wären, dass Inzucht in der Luft läge. Aber Andrey versicherte mir immer, dies sei nur Spaß. Soweit zur Vorgeschichte.
Gestern Abend besuchten Andrey und ich eine Probe ihres Tanzensembles. 20 junge Menschen in hauptsächlich dunkler Ballett oder Sportkleidung, die in einem schlechtbeleuchteten Saal in einem Theater probten. Am Klavier saß ein älterer, desinteressiert auf die Tasten schielender Mann mit Halbglatze und einem Streifen Haare über die Stirn, die versuchten, die Platte zu verdecken. Überraschenderweise lud uns Oksana für diesen Abend zum Essen bei sich und ihren Eltern ein. Große Freude, es würde nach moldauischer Tradition Mamaliga (Polenta) geben. Großes Problem. Andrey wusste, dass wenn er allein mit mir dorthin gehen würde, dann wäre er des ewigen Zorns seiner Julia gewiss. Grund: „wie kannst du nur am Abend mit Marcell arbeiten. Achtet er denn gar nicht auf deine Wünsche?“. Also überlegte Andrey, dass er sie mitnimmt. Er ruft an. Sie zetert: „Was so spät (halb neun) sollen wir ausgehen? Wie kannst du nur am Abend mit Marcell die Zeit verbingen. Achtet er denn gar nicht auf deine Wünsche?“. So fuhr Andrey während der Proben nach Hause, überredete Julia und kam mit ihr zum Theater. Soweit zur Vorgeschichte.
So ein Theater. Ich glaube, man kann sich vorstellen, wie nett der Abend war. Wir wurden aufs herzlichste empfangen, es gab Hauswein, lauter leckere Speisen und davon so viel dass wir platzen. Julia aß nichts, weil es nach sechs Uhr ungesund sei. Die beiden Frauen, ein Blick, unverholene gegenseitige Abscheu. Julia nutzte ihre sprachliche Überlegenheit gegenüber Oksana und redete in überlauten Ton auf Deutsch mit mir. Oksana, die ansonsten voller Energie und Lebensfreude sprühte, wurde immer ruhiger. Nach einer Weile war der Wein aus und Julia schickte Andrey zum Laden. Ich meinte, ich würde gehen, damit er vor Ort die Sache unter Kontrolle halten würde. Julia zwang Andrey, mit mir zu gehen. So blieben die beiden Frauen allein in der Küche. Wir kamen zurück, alles schien normal. Ich fing dann, Oksana noch ein paar Fragen zu stellen, für das Portrait.
Irgendwann bin ich nur mal kurz aufs Klo gegangen und als ich zurückkam, waren Julia und Oksana in einer lautstarken Diskussion. Als es schon zu spät war, konnte ich mir aus dem Kontext zusammenreimen, dass Julia Oksana gesagt hat, dass ihr Tanzkollektiv ein Leienorchester sei, dass für Omas und Opas im Heim herumhüpfen würde. Julias Monolog dauerte ein paar Minuten, der vorige Satz ist die kürzest mögliche Zusammenfassung. Nachdem ich das Ausmaß begriffen hatte, und Oksana mit den Tränen kämpfte meinte ich, dass hier sei jetzt gar nicht mehr nett und dass wir doch bitte gehen sollten. Noch am Tisch verkündete Julia auf Deutsch, dass sie diese Frau nicht mag (wer kanns ihr verdenken, sie ist ja auch netter), dass sie diesen Abend nicht wollte und dass dies jetzt das Ergebnis sei. Dies war das Ende eines dramatischen Abends.